Bei der Begehung einer landwirtschaftlichen Nutzfläche mit der Metallsonde förderte Th. Kuhlmann ein mittelalterliches Pilgerzeichen zu Tage. Die kleine, aus einer Blei-Zinn-Legierung gegossene Plakette ist 54,5 mm hoch, 29,7 mm (und mit Ösen: 40,2 mm) breit und weist eine Dicke von 1,82 mm auf. Das Gewicht des Pilgerzeichens beträgt 18,85 g. Auf der Vorderseite ist der Heilige Servatius dargestellt. Er ist im Profil mit Heiligenschein nach links blickend als Bischof mit Bischofsstab und Schlüssel abgebildet. Vier Ösen, von denen drei noch vollständig erhalten sind, dienten der Befestigung an Kopfbedeckung oder Kleidung.
Die Darstellung der Figuren im Profil ist bei den Pilgerzeichen ungewöhnlich und bei erster Sichtung der publizierten Funde, ist die aus Poggenhagen stammende Form der Darstellung für den Hl. Servatius bislang einzigartig, wird er doch immer frontal dargestellt, teilweise nur als Büste. Die Büstendarstellung geht sicherlich zurück auf das real existierende Gnadenbild der Reliquarbüste, die in Maastricht zu sehen ist und 1403 durch Herzog Heinrich von Bayern gestiftet wurde. Die Büstendarstellungen auf den Servatius-Pilgerzeichen könnten sich demnach konkret auf das im frühen 15. Jahrhundert existierende Bildnis beziehen, die abstrakte Darstellung Servatius‘ auf dem Zeichen aus Poggenhagen ist demnach vermutlich älter. Wenngleich ein Wandel in der Servatius-Darstellung von abstraktem Bild zur konkreten Büstendarstellung sicherlich nicht direkt nach 1403 mit Stiftung des Büstenreliquars vollzogen wurde, sondern sich erst später, im Laufe der Zeit, entwickelt haben dürfte (vgl. auch Lambacher 2011, 69–70).
Die Rückseite des Pilgerzeichens zeigt ein Waffelmuster. Bei der Herstellung wurden die Zeichen in einer zweischaligen Gussform zu Tausenden hergestellt. So ist alleine für den Wallfahrtsort Einsiedeln in der Schweiz der Verkauf von 130.000 Pilgerzeichen in nur zwei Wochen des Jahres 1466 belegt (Lungershausen 2004, 67 Anm. 293). Die Blei-Zinnlegierung (bei untersuchten Pilgerzeichen aus Braunschweig bestand diese im Verhältnis 1:2) wird bereits bei einer Temperatur von nur 183°C leicht fließend. Die feinkörnige Gießmasse konnte dann in die mit dem Motiv eingeschnittenen Vorderseite der Gussform gefüllt und dann mit einer glatten, gerieften oder gewaffelten Platte abgedeckt werden (Lungershausen 2004, 67).
Lit.: Lambacher 2011: Lothar Lambacher, Stand und Perspektiven der europäischen Pilgerzeichenforschung. In: Matthias Untermann (Hrsg.), Religiosität in Mittelalter und Neuzeit. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 23, 2011, 63–74.
Lau 2022: Mittelalterliche Pilgerfahrt nach Maastricht. Ein Pilgerzeichen aus Auetal-Poggenhagen. Schaumburg-Lippische Heimatblätter 3/2022, 26–33.
Lungershausen 2004: Axel Lungershausen, Buntmetallfunde und Handwerksrelikte des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus archäologischen Untersuchungen in Braunschweig. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens 34 (Rahden/Westf. 2004).
Finder, Fundmelder: Th. Kuhlmann, Auetal; Fundverbleib: Heimatmuseum Auetal-Hattendorf; Fundnummer SL 2022/258-1; Text und Fotos: D. Lau